...ein ganzes Jahr, 365 Tage, 8760 Stunden und 525600 Minuten...stand damals auf der Karte, die ich zu unserem einjährigen Beziehungsjubiläum bekommen hatte. Das erste von vielen Jahren hätte es sein sollen, das erste von einer gemeinsamen Zukunft mit Familie, Wohnung und Katze, das erste mit dem einen Mann, auf den ich so lange gewartet hatte, das erste von einem neuen Lebensabschnitt. Aus dem einen wurden zwei und dann kam das Ende, das Aus und ein neuer Anfang. 4 Jahreszeiten, 12 Monate, so viele Tage und Abende voller Tränen und Trauer und auch viele mit strahlenden Augen, Gelächter und ganz viel Zufriedenheit später – 1 Jahr getrennt. Zeit mir einen Liebesbrief zu schreiben, mein nun einjähriges Singledasein zu würdigen, auf die Zukunft anzustoßen und über diese Jahr, das so schnell und doch so langsam vergangen ist, zu reflektieren.
Ich wollte weinen, dann musste ich schmunzeln.
Schon verrückt, wie schnell die Zeit vorbeizieht und vor allem, dass die längsten Tage im Sommer sich immer am kürzesten anfühlen. Vor sechs Monaten habe ich zum ersten Mal Resümee gezogen, einen traurigen aber auch hoffnungsvollen Beitrag geschrieben, bin geschwankt zwischen okay und todunglücklich, es war Februar, die Tage waren kalt und dunkel und genau so hatte sich mein Innenleben angefühlt. Nie wieder habe ich diesen Beitrag danach gelesen bis gerade eben. Stille Tränen, aber auch laute, auf alles war ich vorbereitet, ich bin in Stimmung zu weinen, alles fühlt sich noch einmal nach Abschluss an, aber ich musste schmunzeln, nicht fröhlich aber zufrieden.
Nun, in diesen letzten sechs Monaten hat sich wiederum viel getan. Der Frühling ist eingezogen, ich bin ein Jahr älter geworden, hab den Blog öffentlich gemacht, die Kirschbäume haben nie schöner geblüht und nach einer gefühlten Ewigkeit, hat auch dieser lange Lockdown ein Ende gefunden. Wenn ich auf das letzte halbe Jahr zurückblicke, dann sehe ich viele Neuanfänge, viele erste Male, viel Kampfgeist und noch mehr Abenteuer. Ich sehe viel von mir, vieles an mir, dass ich verlernt, vieles, dass ich vergessen hatte. Nach den ersten schweren Monaten musste ich mich wieder neu kennenlernen, meine Synapsen neu verknüpfen, meinen Alltag neu gestalten, meine Denkweise neu programmieren. Das klingt so leicht, war aber richtig harte Arbeit mit vielen Rückschlägen, vielen Tränen und hat viel Geduld verlangt, nicht gerade meine Stärke. Vermutlich war dieser Schritt schon lange nötig, so richtig mit mir selbst, meinen Ängsten und meinen Mustern, meinen Wünschen und meinen Hoffnungen, hatte ich mich noch nie beschäftigt, es gab immer genug Ablenkung, reichlich zu tun, jemand anderen, auf den ich mich konzentriert hatte.
Singleleben, wir kennen uns schon.
Der Status Quo? Ich bin Single, inzwischen in einer meist erfolgreichen Beziehung mit mir selbst und – nicht an jedem Tag, aber an den meisten – sehr glücklich mit mir. Viele Gedanken haben sich nach der Trennung um eine neue Beziehung gedreht, um jemanden in der Zukunft, der mich wieder glücklich macht, der die Scherben wieder aufhebt und Stück für Stück zusammenklebt, die Hälfte komplementiert und mich wieder zu einem Ganzen macht. Wenn doch nur jemand käme, er mich meinen Kummer vergessen ließe, meinen Schmerz lindern und alles wieder gutmachen würde. Es kam aber niemand, Glück im Unglück, denn, und daran arbeite ich nach wie vor intensiv, ich musste mich selbst wieder ganzmachen, mir selbst die Tage versüßen und Verantwortung übernehmen für mein Handeln und meine Gefühle. Das kann mühsam sein, ziemlich anstrengend, alles selbst zu planen, selbst zu scheitern, nur auf mich böse zu sein, mich bei mir auszuheulen und mich selbst zu trösten. Aber in diesen letzten sechs Monaten habe ich mich richtig gut kennengelernt, verstehe meine schwachen Stunden, weiß was zu tun ist, wenn die Unsicherheiten kommen und kann auch damit leben, wenn nicht alles immer perfekt läuft.
Was anfangs zermürbend war, wurde allmählich sehr schön. Ich kann sonntags wieder lange im Bett liegen, bei meinen Spaziergängen tagträumen, wieder Zeit mit mir alleine verbringen, ohne den Gedanken, dass etwas fehlt. Meine Kreativität ist zurückgekehrt, ich übe wieder mehr Flöte und traue mich an neue Stücke, lese mehr, weil die Stille nicht mehr bedrohlich ist, hab so viel Spaß mit Mode wie noch nie zuvor und höre mehr denn je auf meine innere Stimme. Ich war immer gerne Single, aber eben nie wirklich allein. In all diesen Jahren, in denen ich keinen festen Freund hatte, gab es eine Familie, die um die Ecke wohnte oder eine Mitbewohnerin im Zimmer gegenüber, Freundinnen, die auch Single waren und mit mir ausgingen oder lockere Männergeschichten, die meine Wochenenden versüßt haben. Ich wohne allein, alle meine Freundinnen sind in Beziehungen und meine Wochenenden versüße ich mir ganz alleine mit Dingen, die mir Spaß machen.
Ein Resümee?
Diese Trennung und dieses letzte Jahr waren ganz anders als erwartet, in jeglicher Hinsicht. Mein Exfreund und ich haben nach wie vor Kontakt, manchmal stehen wir uns nahe, manchmal herrscht wochenlang Funkstille, für mich hat das so gepasst. Er musste dieses Jahr viel aushalten, sich vieles anhören und mich auch viel trösten, dafür ist jetzt von meiner Seite alles ausgesprochen, alles gesagt, alles offengelegt. Er steht auf keinem Podest, ich sehe ihn durch keine rosarote Brille und wenn wir uns auf der Straße begegnen, habe ich keine Schweißausbrüche oder Herzklopfen. Er fühlt sich noch immer nach Zuhause an, aber es geht auch ohne ihn. Ich denke nur noch selten an unsere Beziehung, an das was war, an das was weh getan hat. Die Wut, die ich im Frühjahr noch fest gespürt habe, hat sich in Akzeptanz verwandelt. Wir hatten beide unser Bestes gegeben und sind gescheitert, so ist das eben manchmal. Ich bin froh, dass wir einiges zusammen aufgearbeitet haben, dass ich meine Gedanken mit ihm teilen konnte und ich wieder mehr ihn sehe, so wie er ist in all seiner Liebenswürdigkeit und mit seinen Macken, und nicht mehr den einen Partner, den ich mir so gewünscht hatte und der er zu jenem Zeitpunkt nicht für mich sein konnte. Ich mag den Mann, den ich sehe, wieder sehr und noch viel wichtiger, ich mag mich in seiner Gegenwart auch wieder.
Wer hätte gedacht, dass ich diese Trennung dringend für mich gebraucht habe, ich nicht! In diesem letzten Jahr hab ich mich verändert, nicht für jemand anderen, sondern für mich. Ich brauche niemanden mehr, der mich komplementiert und mein Leben schön macht, das kann ich ganz gut selbst und immer besser auch alleine. Natürlich waren meine Familie und meine Freundinnen eine riesige Stütze, aber das Umdenken von ich brauche jemanden, um glücklich zu sein, zu ich mache mich selbst glücklich und jemand darf daran teilhaben, musste ich selbst vollziehen. Es klappt noch nicht immer, aber ich bin auf einem guten Weg. Die Leichtigkeit ist wieder da, die ich so vermisst hatte, der Druck von der idealen Beziehung in den Dreißigern ist weg und ich hab wieder zu meinen eigenen Bedürfnissen & Vorstellungen gefunden. Manchmal wünschte ich mir, dass ich vieles, was mir dieses Jahr bewusst geworden ist, schon früher begriffen hätte. Gerne würde ich meinem früheren Ich ins Ohr flüstern, die Verbissenheit rausnehmen, die Unsicherheiten wegpusten, den Ernst verfliegen lassen und durch strahlende Augen und tanzende Füße ersetzen. Aber alles braucht seine Zeit.
Blick nach vorne.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich mich halten kann, wenn alte Muster wiederkommen, dass ich alles, was ich in dieser Zeit mit mir selbst gelernt habe, in die Beziehung, die vielleicht in der Zukunft kommt, mitnehmen kann. Dass ich eine großartige Partnerin bin, weil ich niemanden zum Überleben brauche, sondern dieses schöne Leben mit jemandem teilen möchte. Ich hoffe, dass ich meine Grenzen verteidigen kann, meine Standards hoch halte und früh genug die Handbremse ziehe, wenn sich etwas oder jemand nicht wohlig anfühlt. Wenn ich nach vorne blicke, dann sehe ich viel Dolce Vita.
Es ist Sonntagabend, links neben mir stehen schokolierte Kaffeebohnen, rechts neben mir ein Glas spritziger Weißwein, morgen bin ich ein Jahr Single, an einem Montag, was für ein Start in die Woche. Ich weiß den Sonntag noch ganz genau, an dem die Worte gefallen sind, an dem ich weinend in der Dusche gesessen bin und sich alles unwirklich angefühlt hatte, wie ein böser Traum. Diese Trennung war richtig schwer, so schwer, dass ich gar nicht alle Gefühle zulassen konnte, weil ich sonst nicht mehr aufgestanden wäre und wenn ich jetzt zurückdenke, überkommt es mich manchmal, das noch nicht Gefühlte, das Mitleid mit meinem früheren Ich, die Hoffnungslosigkeit, die ich gespürt habe, die Verzweiflung und die Enttäuschung, die an jeder Faser meines Körpers genagt haben. Aber ich hatte schon damals beschlossen, dass ich als Siegerin aus diesem Kampf gehe, und darauf gilt es heute anzustoßen. Morgen packe ich meine Ohrringe und das Armband aus, das ich mir selbst geschenkt habe. Ich bin stolz auf dieses Jahr, auf die guten und die schlechten Tage, auf den Weg, der hinter mir liegt und auf die Arbeit, die ich an mir selbst geleistet habe! Chapeau!
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