Das klingt fast so, als wäre meine Zeit als Singlefrau beendet, keine Panik, ist sie nicht und wird sie auch so schnell nicht. Aber es sind tatsächlich 4 Jahre, sogar ein bisschen mehr, die ich jetzt solo (zumindest romantisch) durchs Leben gehe und somit die längste Zeit, die ich seit ich 15 war Single bin. Diese Jahre sind nur so verflogen und heute möchte ich ein bisschen über diese vielen Monate reflektieren und wohin sie mich geführt haben. Spoiler: zu mir.
UNABHÄNGIGKEIT
Ich war ein sehr behütetes Kind, bin ich nach wie vor, und musste solange ich zuhause gewohnt habe, nie Arbeiten im Haushalt übernehmen, geschweige denn mich um Dinge wie Strom, Heizungskosten etc. kümmern. Für mein Studium in Salzburg bin ich in eine bestehende WG eingezogen, also war ich auch dort für nichts verantwortlich, Wäsche habe ich am Wochenende nach Hause gebracht. Auch während ich in der Garconniere im Haus meiner Eltern gewohnt habe, durfte ich alle Privilegien genießen und musste mich, bis aufs Einkaufen, Kochen und bisschen Miete zahlen, um nichts kümmern. Kindfaktor.
Als ich dann Anfang 30 mit meinem Ex zusammenzog, hatten wir wieder Aufgabenteilung (zumindest in der Theorie, haha), vieles wurde von den vorigen Bewohnern übernommen und wieder war immer jemand da. Nun, dann kam ein halbes Jahr später der Schock: alleine wohnen. Fast ein bisschen peinlich, aber ich wusste weder, wie das mit dem Strom funktioniert noch hatte ich mich jemals davor um Wifi oder Betriebskosten gekümmert.
In diesen 4 Jahren solo und in meinen eigenen Wohnungen habe ich Unabhängigkeit gelernt und musste viel Verantwortung übernehmen, meine eigenen Entscheidungen treffen und deren Konsequenzen tragen. Die Höhepunkte meiner Unabhängigkeit waren die 5 Monate auf Reisen und der Wohnungskauf, beides hätte ich nie gemacht, wäre ich in einer Beziehung gewesen. Das Wissen, auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen und Entscheidungen ohne Diskussionen treffen zu können, ist ein neues Lebensgefühl und lässt mich oft rätseln, ob ich das jemals wieder aufgeben kann und möchte.
RUHE
Naja, mit der Unabhängigkeit kam die Ruhe und das im übertragenen wie auch im wortwörtlichen Sinn. Ich bin Musikerin und Lehrerin und somit den ganzen Tage einer hohen Geräuschkulisse ausgesetzt. Seit ich alleine wohne, weiß ich zu schätzen, wenn es am Wochenende einen ganzen Vormittag still ist und ich mit niemandem ein Wort spreche. Ich liebe es auch am Abend nach Hause zu kommen und in Ruhe zu kochen, ohne mich mit den Emotionen eines Partners auseinanderzusetzen. Kochen, Essen, Serie und dann ohne Nebengeräusche schlafen gehen – mein perfekter Abend findet unter der Woche alleine statt. Versteht mich nicht falsch, ich mag die Gesellschaft von lieben Menschen, aber mindestens gleich gern mag ich Zeit allein.
Zur Stille hat sich auch die innerliche Ruhe gesellt. Mein ganzes System ist ruhiger, wenn ich niemanden date und mit niemandem in Beziehung bin. Kein Wundern, ob er sich noch melden wird, kein Grübeln, ob er an die Tischreservierung gedacht hat, kein Ärgern, weil er schon wieder nicht den Müll runtergebracht hat und kein ständiges Sorgen, wie er reagieren wird. Das ist natürlich Typsache, aber ich mache mir tendenziell schon alleine über alles zu viele Gedanken, wenn ich dann noch für jemanden Mitdenken muss (und sorry, aber ich habe noch nie einen Mann kennengelernt, für den ich nicht mitdenken musste), führt das zu Stress und Unruhe. Ich hab in dieser Singlezeit meine Mitte gefunden, manchmal war es mir definitiv zu still, aber je älter ich werde, desto mehr weiß ich die ruhige Zeit mit mir selbst zu schätzen.
AUFARBEITUNG
In diesen 4 Jahren gab es natürlich auch viele schwere Zeiten, in denen ich mir sehnlichst jemanden gewünscht hätte, jemanden der mir sagt, dass schon alles gut wird, jemanden der die Last mit mir teilt. Eine halbe Last ist leider noch immer schwer, also gilt es die ganze aufzuarbeiten. Ich glaube, ich wäre bis heute nicht in Therapie, hätte ich mich damals nicht getrennt. Niemals wollte ich mir eingestehen, dass ich Hilfe brauche, dass das Leben manchmal ein bisschen zu schwer ist und ich mir viel zu oft selbst im Weg stehe. Die Monster an die Oberfläche zu lassen, erfordert viel Mut und oft wollen wir die düsteren Gedanken und Ängste nicht mit einem Partner teilen. Kürzlich habe ich gelesen, dass Verletzlichkeit die wohl innigste Form von Intimität ist, und da muss ich zustimmen. Seit ich Freundinnen und Familie auch meine schwierigen Themen zumute, haben sich unsere Beziehungen verändert, zum Positiven.
Aufarbeitung erfordert Zeit, Nerven, Mut und vor allem Ruhe. Am meisten habe ich über mich gelernt, wenn ich ein ganzes Wochenende alleine war, nur ich und meine fiesen Gedanken ohne Beschallung und ohne Ablenkung. Solche Stunden sind nicht schön, soviel kann ich verraten, aber sie sind der Weg, um alles zu fühlen und zu heilen. Wenn immer jemand da ist, bleibt kein Raum für die tieferen Schichten. Ich gehe nach wie vor zur Therapie, immer wieder zeigen sich Themen, die noch bearbeitet werden wollen. Ich bin so dankbar für diese lange Zeit, in der ich mich mit mir selbst beschäftigen konnte und noch immer darf.
WAGEMUT
Heute schon etwas gewagt? Ich bewege mich seit ich denken kann lieber auf der sicheren Spur, mag Routinen, gefestigte Strukturen, vorhersehbare Situationen und klare Linien. In Beziehungen wusste ich die vermeintliche Sicherheit zu schätzen und das Gefühl dazuzugehören. Mit Anfang 30 Single zu sein, hat damals mein Weltbild auf den Kopf gestellt, so war das wirklich nicht geplant. Alles, wirklich alles, hat sich bedrohlich angefühlt: Sonntage allein, solo Kinobesuche, alleine in die Sauna oder ins Restaurant zu gehen, Kurztrips nur mit mir oder gar in einer Gruppe laut zu sagen, dass ich keine Partner habe. Angsteinflößend.
Mit den Monaten und neuen Erfahrungen kam aber die Lust mutiger zu sein. Inzwischen fordere ich mich gern selbst heraus, probiere neue Erlebnisse nur mit mir aus und traue mich, mir etwas Größeres als bisher für meine Zukunft vorzustellen. Ohne diese lange Singlezeit hätte ich nie und nimmer damit angefangen, alleine meine Freizeit zu gestalten oder gar zu verreisen, geschweige denn mir die Finanzierung einer eigenen Wohnung zuzutrauen.
WOHLWOLLEN
Mit dem mutiger werden kam auch das großzügiger mit mir selbst sein, materiell wie auch emotional. Heute kann ich besser damit umgehen, dass ich Fehler mache, falsche Entscheidungen treffe oder bis spät in die Nacht eine dämliche Serie suchte. Ich hab mehr Verständnis für mich selbst gefunden, weil niemand anderer das für mich übernommen hat. Oft sind wir mit Freund:innen viel wohlwollender als mit uns selbst, grundlos.
Und ja, ich gönne mir auch so mein bestes Leben, beschenke mich zu Geburtstagen und Weihnachten großzügigst, kaufe mir wöchentlich die frischen Blumen und lade mich selbst zum Essen, zum Wellness oder auf den Kurztrip ein. Was kostet die Welt? Viel, ist die bittere Erkenntnis, aber ich musste hart daran arbeiten, dass ich mir auch ein schönes Leben ohne Partner gönne und nicht tolle Erlebnisse oder Alltagsluxus auf später verschiebe, weil ich gerade Single bin. Mit mir selbst in jeder Hinsicht großzügig zu sein, ist das beste Gefühl und gibt mir unglaublich viel Selbstvertrauen, weil ich weiß, dass ich allein genug bin, um mich glücklich zu machen.
Ich sag’s, wie es ist: Im Moment schreckt mich der Gedanke morgen den Mann fürs Leben zu finden gleichermaßen wie der Gedanke für immer alleine zu bleiben. Ich liebe mein Singleleben gerade sehr sehr sehr und ich kann euch nur ans Herz legen, das Gleiche zu tun. Manchmal würde ich gern mein Ich ohne diese 4 Jahre sehen, ich glaub, ich würde mich nicht wiedererkennen.
Vielleicht solltest du dich trennen, falls du noch nie alleine warst und falls du dich gerade getrennt hast, bleib vorerst alleine. Es lohnt sich.
Liebe Miriam
Sich selbst zu lieben ist das wichtigste und gleichzeitig auch das schwierigste im Leben. Danke für diesen schönen und wichtigen Beitrag. Love it😍
jeden zweiten Samstag sitze ich schon erwartungsvoll mit meinem Tablet auf dem Sofa und warte auf deinen Beitrag. Heute hast du mich wieder mitten ins Herz getroffen, jede deiner Zeilen gibt mir Hoffnung, dass ich diese Singlezeit überstehen werde und vielleicht sogar mögen werde. Danke dafür. Du bist eine große Inspiration! 💚
Grüße aus München