Zweieinhalb Jahre gehe ich nun schon fast wöchentlich zur Therapie. Das sind viele viele Stunden, in denen ich erzählt, geweint, gemeinsam mit meiner Therapeutin analysiert und an mir gearbeitet habe. Bevor ich zur Therapie ging, dachte ich immer, dass ich zum Glück zu den Leuten gehörte, die keine Hilfe bei psychischen Anliegen brauchen. In meiner letzten Beziehung und der damit verbundenen emotionalen Öffnung wurde aber ganz klar deutlich, dass nicht alles so rosig ist, wie ich immer dachte und vieles schon so festgefahren war, dass ich es gar nicht mehr als Muster und Problem identifizieren konnte. Der finale Anstoß war dann die Trennung, seitdem sind viele Wochen und Monate vergangen und viele Sitzungen plus Reflexion später ist eines deutlicher denn je: Alte Muster sind richtig anhängliche Biester!
Therapie? – hmm!
Wenn du diesen Beitrag liest und dir denkst, dass du keine Therapie brauchst, dann muss ich dich entweder desillusionieren oder du bist vielleicht tatsächlich in einer perfekten Kindheit groß geworden und hattest das Glück, dass all deine Beziehungen stabil, liebevoll und gleichberechtigt waren. Ich schätze, dass wir alle unser Päckchen zu tragen und mit Verletzungen zu kämpfen haben, die entweder schon ganz früh passiert sind oder uns erst im Erwachsenenalter zugetragen wurden. Egal wie und wann, darüber zu reden ist der Schlüssel zur Heilung und Therapie die beste Wegbegleiterin dorthin.
Zum Glück ist das Thema inzwischen kein Stigma mehr und ich erwähne meinen Therapietermin einmal die Woche genau so locker wie ein Kaffeedate, auch wenn mich hin und wieder dann überraschte Blicke treffen. Was soll ich sagen, ich bin eine Millennial und Mental Health ist vermutlich das große Thema meiner Generation. Wir sind die ersten, die zur Therapie gehen, alte Familientraumata aufarbeiten und uns darum kümmern, dass wir nicht in alten Gewohnheiten und toxischen Strukturen hängen bleiben. Das ist anstrengend, keine Frage, aber auch sehr lohnend – hoffe ich zumindest, ich bin noch beim anstrengenden Teil!
Wer hat Angst vorm bösen Muster?
Niemand! – aber wenn es kommt?
It’s me, I’m the problem it’s me!
Nun, zurück zu den Mustern. Wir alle haben verschiedenste Traumata in unterschiedlichen Intensionen erlebt und diese prägen uns, ob wir wollen oder nicht. Vielleicht war es ein bissiges Kommentar zur Figur von der Oma, ein selbstsüchtiger erster Freund oder eine zerbrochene Familienstruktur, alles wird aufgesaugt wie ein Schwamm und setzt sich fest, bis ähnliche Situationen kommen und ebendiese alten Verletzungen getriggert werden. Das Resultat ist eine überdimensionale Verletzung, weil der Schmerz schon viele Jahre alt ist, und eine dementsprechend große Reaktion.
Zuerst sollte sich frau also ihrer Muster bewusst sein. Fehlender Selbstwert, emotionale Abhängigkeit, Konfliktvermeidung etc., die Palette ist lang und ganz lange dachte ich, dass es mein Selbstwert ist, mit dem ich so zu kämpfen habe. Die Angst vor fremden Gruppen, ein leichter Perfektionismus, das Problem mit autoritärem Verhalten, alles hätte ganz gut zu einem fehlenden Bezug zu meinem eigenen Wert gepasst, aber wie sich in den letzten Wochen recht deutlich herausgestellt hat, ist es das nicht. Ich weiß recht gut, was ich kann, ich fühl mich intellektuell nicht unterlegen und ich bin mir sicher, dass ich alles schaffen kann, was andere auch können, wenn ich das möchte. Aber mein großes Thema ist nicht ganz autonom und schlägt immer wieder ein bisschen in den Selbstwert hinein.
Vorhang auf: Verlustangst.
Ja, ihr habt es, wenn ihr hier schon viel hier gelesen habt, vielleicht schon früher erkannt als ich, mein leidiges Thema ist Verlustangst und die damit verknüpften Muster, die mich regelmäßig auf die Prüfung stellen. Die Furcht, von geliebten Menschen verlassen, nicht geschätzt und geliebt zu werden, die ständige Sorge keinen Platz zu haben und nicht dazuzugehören. Nicht nur in Beziehungen sondern auch in der Familie, bei Freund:innen und im Arbeitsumfeld, überall schleicht sich diese Angst ein und lässt mich die wildesten Szenarien ausmalen.
Eine Freundin vergisst mich anzurufen, Panik, die Arbeitskolleg:innen gehen ohne mich auf Drinks, ungutes Bauchgefühl, das Date meldet sich nicht wie versprochen am nächsten Tag, Stimmung am Tiefpunkt. Ich glaube es ist schon in ein paar Beiträgen ans Licht gekommen, dass mein Muster in solchen Situationen dann immer das Gleiche ist: Schweigen, zurück ziehen, leiden und mich selbst versichern, dass ich ganz alleine auf dieser Welt bin.
Geduld, Geduld, Geduld!
Nun, würdet ihr vielleicht sagen: „Problem erkannt, Gefahr gebannt“. Ja, ich auch, aber so einfach ist es leider nicht. Ich kenne meine Angst, ich weiß, in welchen Situationen sie laut wird, ich habe meine alten Verletzungen – soll noch einmal jemand sagen, dass es traumafreie Scheidungskinder in meiner Generation gibt – viel beweint und dennoch habe ich sie nicht unter Kontrolle. Manchmal fühlt es sich fast wie eine Dissoziation an, mein Kopf versucht meinen Emotionen zu erklären, dass alles in Ordnung ist und wir uns keine Sorgen machen müssen, aber die sind schon lange im Survivalmodus und lassen sich nicht besänftigen. Herzklopfen, Ohrenrauschen, Lethargie sind dann die unangenehmen Begleiterscheinungen ebenso wie das alles einnehmende Gefühl, dass nur die anderen es wieder gut machen können.
„Sie müssen die Kleine an die Hand nehmen“, sagt meine Therapeutin immer und ich erkläre ihr dann, dass ich das weiß, aber in der Situation trotzdem damit zu kämpfen habe. Genau das ist der springende Punkt, Muster können nicht einfach so geheilt werden, weil die Verletzung, die ihnen zu Grunde liegt, nicht einfach gelöscht werden kann. Niemand kann mir den Schmerz nehmen, zwischen zwei getrennten Elternteilen aufgewachsen zu sein, niemand kann zurückreisen und der Kleinen zeigen, dass sie eh ihren Platz hat und nicht alles kontrollieren muss. Meine Muster kommen, wenn Situationen meine Verlustangst berühren, vermutlich bis in alle Ewigkeiten, aber ich kann aktiv üben, mit ihnen umzugehen. Zu erkennen was passiert, war der erste Schritt, zu wissen wo sie herkommen, der zweite und jetzt gilt es geduldig zu sein und zu versuchen, starre Schemata ein bisschen zu bewegen und neue Möglichkeiten zu schaffen.
Das klingt schon fast poetisch, aber es ist nicht spaßig und ich möchte hier nichts romantisieren. Ich stoße oft an meine Grenzen und falle wieder zurück, erst diese Woche bin ich wieder stundenlang lethargisch auf der Couch gelegen, weil sich jemand nicht so verhalten hat, wie ich es mir gewünscht hätte. Drama, Tränen, Wut, die ganz Palette war da und es hat lange gedauert, um mich zu beruhigen und das, obwohl ich genau wusste, was gerade passiert. Jaja, die Psyche, ein Abenteuer.
Viel zu krass was mir jetzt grad alles bewusst geworden ist! Immer wieder die gleichen Situationen…. danke!