Es war wieder einmal soweit, Sonntagmorgen, eine Woche vor den Herbstferien, musste ich vorm Frühstück ordentlich weinen. Ich war kränklich, hatte wochenlang durchgebissen, kaum Zeit für mich gehabt und das Chaos um mich herum hat mich gleich nach dem Aufstehen erschlagen! Diagnose? Alles war gerade ein bisschen zu viel, ganz viel Anspannung war mit der Premiere am Vorabend abgefallen und nun zeigten sich die Emotionen, die ich schön nach hinten gepackt hatte, weil ich funktionieren musste. Die letzten zwei Wochen habe ich viel übers vermeintliche Nichtstun nachgedacht und versucht, den Müßiggang wieder in mein Leben zu holen.
Immer mehr und immer schneller.
Ich bin stressresistent und belastbar, war ich schon immer, wenn es hart auf hart kommt, kann ich tagelang mit wenig Schlaf, fettigen Snacks und viel Kaffee überleben und von morgens bis spät abends arbeiten. Es geht, wenn es sein muss, manchmal fühlt es sich sogar richtig gut an, fast wie ein High, ich bin gern produktiv, viel Arbeit fühlt sich nach viel Accomplishment an. Das scheint auch der Zeitgeist meiner Generation zu sein, alle philosophieren zwar über Work-Life-Balance (ich auch!), aber überarbeitet zu sein ist in, viel zu tun zu haben schick und ein Leben ohne Stress sowieso nicht vorstellbar. Vielleicht sind es die unendlichen Möglichkeiten, die fast nicht mehr erträgliche Vernetzung über alle Social-Media-Kanäle, die Start-ups und CEOs an jeder Ecke oder auch der finanzielle Druck bei den steigenden Preisen. Mehr arbeiten, mehr verdienen, mehr leisten, mehr nach außen präsentieren.
Dazu kommen noch soziale Verpflichtungen, Familie und Freund:innen dürfen nicht auf der Strecke bleiben, die Wohnung soll vorzeigbar, sauber und gemütlich sein und zu alledem ist ein gepflegtes Äußeres Grundvoraussetzung, damit ich mich wohlfühle. Es gibt Tage, da hätte ich gerne 6 Stunden mehr zur Verfügung oder ganz generell würde ich gerne dauerhaft weniger Schlaf brauchen. Wenn ich in stressigen Zeiten nach Hause komme, geht mein Puls immer ein bisschen zu schnell, ich esse die halben Nudeln schon aus dem Topf, weil ich ungeduldig bin, lass öfter Gegenstände fallen, weil ich unkonzentriert bin und schlafe schlecht. Es fällt mir dann schwer zur Ruhe zu kommen, hineinzufühlen und meinen Bedürfnissen nachzugehen. Oft brauch ich dann Ablenkung und Beschallung, die Netflix-Serie, Hausarbeit mit Musik oder ein Spaziergang mit Podcast im Ohr, Stille fühlt sich in solchen Zeiten bedrohlich und zu langsam an.
Nicht nichts, aber wenig vom Richtigen.
Ich kenne dieses Verhalten an mir und weiß auch, dass es dann an der Zeit ist, die Notbremse zu ziehen. Müßiggang ist ein Wort, das mich zum Schmunzeln bringt, schon alleine die Silben klingen nach etwas Gemütlichem. Per Definition ist es das Nachgeben der intuitiven Bedürfnisse, das muss nicht unbedingt faulenzen auf der Couch sein, kann es aber. In meinem Fall bedeutet es zum Beispiel meine Nägel zu lackieren, während ich einen Podcast höre, am Samstag länger im Bett zu bleiben und die Liste mit den ganzen To-Dos in die Schublade zu packen, es bedeutet in den Wald zu gehen, spontan durch die Stadt zu schlendern, Freundinnen zu treffen und nachmittags auch einmal mit dem Kaffee auf der Couch zu liegen und Netflix zu schauen. Es bedeutet das Handy beim Spaziergang zuhause zu lassen, nach dem Nachtisch noch Schokolade zu essen, mit Kleidungsstücken zu spielen und die Pflanzen zu pflegen.
Die letzte Woche vor den Ferien musste ich zwar arbeiten und es gab auch lange Tage, aber ich hab mir täglich ein kleines entschleunigendes Highlight eingebaut, je nachdem worauf ich gerade Lust hatte. Einmal hab ich auch nur meinen Desktop sortiert oder das neue App am iPad ausgiebig getestet, mich beruhigen Ordnung und Struktur und neue Dinge zu lernen, löst Glücksgefühle aus. Gerne hätte ich mich ausgepowert und/oder Yoga gemacht, aber irgendwie hat der Schweinehund nicht mitgespielt und das war auch okay.
Wenn nur nicht das schlechte Gewissen wäre…
Nun, mit diesem kleinen Stimmchen, dass gemeine Wörter wie „faul“, „unfähig“ oder „Zeitverschwendung“ flüstert, hatte ich natürlich auch zu kämpfen. Aber, und das hilft wirklich, die eigenen Glaubenssätze sind beeinflussbar und somit lassen sich auch vermeintliche Schuldgefühle steuern. Wenn der Gedanke „eigentlich müsste ich xy tun, warum verschwende ich meine Zeit mit Serien, ich bin so inkonsequent“ kommt, dann sag ich mir vor (und das laut, aber ich lebe alleine, daher egal), warum es so gerade richtig ist: „Das war eine schwere Woche, xy kann bis morgen warten, das tut mir jetzt gerade gut!“ Meine Serie fühlt sich dann nach Wellness für die Seele an und sich um sich selbst zu kümmern, ist sowieso die allergrößte und wichtigste Aufgabe mit oberster Priorität.
Die „nur das Beste für mich“-Mentalität lässt sich lernen, vor allem wenn Frau genau hinhört, wonach ihr gerade ist. Die ersten Tage waren nur der Anfang meines Müßiggangs, ich zelebriere dieses Konzept gerade ausgiebig. Die Spitze war sicher ein spontan gebuchter Trip nach Florenz, nur ich mit mir, mit viel Vino und noch mehr Dolce, und ganz viel Sonne, und überhaupt dem ganzen italienischen Lifestyle, der entschleunigender nicht sein könnte. Aber darüber könnt ihr dann nächste Woche lesen.
Also geh doch wieder einmal müßig, lebe die Müßiggänge und verleih dem Gang durch den Tag Müßigkeit! :)
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