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Autorenbilddiedreißigerin

Zwischen Steuererklärung, ersten grauen Haaren und unreiner Haut!

Gestern habe ich wieder eines gefunden, ein graues Haar, eigentlich war es schneeweiß und ragte wie eine Krone 3 cm aus meinem Scheitel heraus, es hatte bestimmt schon Tage über mich gelacht, besonders senkrecht und extra borstig. Pinzette gezückt, erwischt, das Älter werden noch einmal ausgetrickst.


Es ist Ende Mai, die schriftlichen Maturaklausuren finden gerade statt und manchmal habe ich das Gefühl, als wäre ich selbst erst vor kurzem aus der Schule entlassen worden. Das ist jetzt aber schon 13 Jahre her, vor 6 Jahren habe ich meinen Masterabschluss gefeiert. Ich kann mich noch gut an die ersten Monate nach dem beendeten Studium erinnern, alles fühlte sich ganz unwirklich an. Zu jung, um in diese ernste Erwachsenenwelt einzutreten, zu jung, um in einem permanenten Job zu arbeiten, zu jung, um selbst Versicherungen zu zahlen und definitiv zu jung, um mich mit meiner Lebensplanung auseinanderzusetzen. Ausgesehen habe ich sowieso wie ein Baby, die Bezeichnung "Frau" hat sich ganz falsch angefühlt, mein Körper hat mir jede schlaflose Nacht verziehen und bei wichtigen Entscheidungen waren meine Eltern meine erste Anlaufstelle. Nun, nicht nur äußerlich hat sich in den letzten Jahren einiges getan, auch mein Selbstbild hat sich verändert, was mir noch immer zu schaffen macht.

 

Laissez-faire & dolce vita.

Als ich mit Mitte zwanzig nach dem Studium zurück nach Tirol kam, fühlte es sich an, als würde mir die Welt zu Füßen liegen, als würde jetzt erst der Spaß beginnen, fertig mit der Ausbildung, unabhängig und ungebunden. Ich hab die schönsten Urlaube mit meiner besten Freundin gemacht, drei Sommer lang sind wir mehrere Wochen mit dem Rucksack durch verschiedene Länder getourt, haben in Asien im offenen Schlafsaal am Strand geschlafen, in der Serengeti im Zelt übernachtet, die Gassen von Sansibar erkundet und in Havana den besten Rum getrunken und Salsa getanzt. Die Gedanken waren auf Abenteuer anstatt auf Verpflichtungen gerichtet, ich habe es genossen, unverbindlich zu daten, wollte mich auf nichts festlegen, mir auch beruflich noch Freiheiten einräumen, mir für alles ein bisschen Zeit geben und mich ausprobieren.

Mein Körper hat das widergespiegelt, dankenswerterweise hatte ich nie mit physischen Problemen zu kämpfen, ich war immer fit und sportlich, hatte mir aber über meine Figur kaum Gedanken gemacht, schließlich war ich jung, Augenringe und Falten waren kein Thema und mit ein paar Unreinheiten hatte ich schon immer zu kämpfen. Zyklusbedingte Gefühlsschwankungen und PMS waren ein Fremdwort, da ich noch mit Hormonen vollgepumpt war und meine Haare habe ich nur gefärbt, um blonder zu sein. Das süße Leben hatte ich für mich entdeckt, im Studium war ich immer sehr fokussiert und ehrgeizig gewesen, jetzt war meine Zeit, um alles ein bisschen entspannter anzugehen, um mich den schönen Dingen zu widmen.


Wo bleibt die Zeit?

Mit der Zeit kamen dann doch die Verpflichtungen. Wo diese 6 Jahre Post-Studium hin sind, kann ich mir selbst nicht so richtig erklären, es ist viel passiert, ich hab viel erlebt aber irgendwie ging das doch alles zu schnell und seit dem Dreißiger rinnt die Zeit noch viel schneller. Im Herbst bekomme ich einen Fixvertrag an der Schule, was ich so lange herbeigesehnt hatte, bereitet mir gerade ein bisschen Bauchschmerzen. Fix und gebunden? Das hört sich im Moment nach einer Drohung an, und überhaupt, ich bin doch noch so jung? – und doch schon ein bisschen älter.

Das Spiegelbild verrät es inzwischen auch ein bisschen, die kleinen Fältchen sind nun schon in der Früh zu sehen, kurze Nächte rächen sich mit dunklen Ringen unter den Augen und Kopfschmerzen und hin und wieder finde ich wie eingangs beschrieben ein graues Haar, das ich dann ganz schnell ausreiße, meistens mit vielen dunklen. Nach zu viel Alkohol und fettigem Essen geht es mir tagelang schlecht, die Stimmungsschwankungen während bestimmter Zyklusphasen sind mir selbst zu anstrengend und was einst ohne jeglichen Aufwand straff und fest war, muss ich mir durch viel Sport hart erkämpfen. Auf der einen Seite habe ich noch immer mit Unreinheiten zu kämpfen und jetzt soll ich mich mit Anti-Anging Produkten auseinandersetzen, Supplemente nehmen und zur Vorsorgeuntersuchung gehen? Das klingt alles furchtbar erwachsen und ganz schmerzlich alt, wo ich mich doch so jung und noch gar nicht als Erwachsene fühle.


Unterschiede in der Lebensplanung.

In den Dreißigern zeigen sich die wohl größten Unterschiede innerhalb eines Freundeskreises. Ich habe Freundinnen, alle im gleichen Alter, die schon verheiratet sind oder schon Kinder haben oder schon Haus gebaut bzw. eine Wohnung gekauft haben oder sogar schon alle diese lebensveränderten Entscheidungen getroffen haben. Hätte ich schon Mann, Kinder und Haus, ja, dann wären diese Falten und grauen Haare gerechtfertigt, dann könnte ich mit den Zeichen der Zeit bestimmt besser umgehen, dann würden sie zu meinen Lebensumständen passen. Hab ich aber nicht.

Ich bin stolz, wenn ich meine Steuererklärung pünktlich abgebe, das fühlt sich schon viel zu ernst an oder einen öffentlichen Vortrag halte, auch das kommt mir ganz unwirklich reif und verantwortungsbewusst vor. Inzwischen bin ich im Reinen damit, dass ich noch nicht soweit bin wie einige meiner Freundinnen und ich setze mich auch mit dem Gedanken auseinander, dass ich es vielleicht nie sein werde. Wer weiß, was die Zukunft bringt, vielleicht bleibe ich die nächsten 10 Jahre Single, vielleicht ist es dann zu spät für Kinder, vielleicht kann ich mir nie ein Eigentum leisten, alles ist möglich und nichts gewiss. Aber, und da muss ich ganz ehrlich mit mir sein, es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass sich mein Alter auch äußerlich zu zeigen beginnt, dass meine Gedanken sich viel um Verpflichtungen drehen, dass sich manches verpasst und nicht mehr nachholbar anfühlt.


Fokus auf den Status quo.

Nun, es ist wie es ist, ich werde älter, ich kann leider nicht in die Zukunft sehen und daher gilt es, im Moment zu leben und die Vorzüge der eigenen Lebensumstände zu genießen. Ich kann an den Wochenenden (Lockdownende sei Dank) wieder ausgehen und am nächsten Tag ausschlafen, weil ich mich um kein Kind kümmern muss, kann mein Geld für Urlaube und schöne Dinge ausgeben, weil ich keine Kredite im Nacken habe und ich kann mich viel mit mir beschäftigen, meinen eigenen Bedürfnissen folgen und mich noch besser kennenlernen, weil ich für niemanden Kompromisse eingehen muss. Klar wäre es andersrum genau so schön, jeder Lebensabschnitt hat seinen Reiz, jede Entscheidung ihre Vorzüge aber auch ihr Konsequenzen. Bei mir ist es gerade so, bei dir anders, beide machen wir das Beste daraus.

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